03/21/2024

Am 20. März 2024 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Praktikanten und zur Bekämpfung von als Praktika getarnten Arbeitsverhältnissen (Praktika-Richtlinie) veröffentlicht. Ergänzt wurde dieser Vorschlag um Elemente zur Überarbeitung der Empfehlung zum Europäischen Qualitätsrahmen für Praktika (QFT). Die Vorschläge gehen auf eine legislativen Initiativbericht des Europäischen Parlaments (EP) zurück.

Praktika-Richtlinie

Mit der Richtlinie soll ein gemeinsamer Rahmen von Grundsätzen und Maßnahmen zur Verbesserung und Durchsetzung der Arbeitsbedingungen von Praktikanten geschaffen werden. Insbesondere soll damit eine behördliche Überprüfung von Praktika, welche im Verdacht stehen, eigentlich reguläre Arbeitsverhältnisse zu sein, eingeführt werden. Im Einzelnen wird vorgeschlagen:

  • In Artikel 3 ist der Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Praktikanten verankert. Er verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, Maßnahmen zu treffen, die sicherstellen, dass Praktikanten hinsichtlich ihrer Arbeit und des Arbeitsentgeltes nicht diskriminiert werden. Allerdings können objektive Gründe wie unterschiedliche Aufgaben, geringere Verantwortung, Arbeitsintensität oder das Gewicht der Lern- und Ausbildungskomponente eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.
  • Artikel 4 verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um als Praktika getarnten reguläre Arbeitsverhältnisse („Scheinpraktika“) zu bekämpfen. Die Mitgliedstaaten sollen wirksame Kontrollen und Inspektionen vorsehen, um einen derartigen Missbrauch aufzudecken.
  • In Artikel 5 werden Kriterien aufgestellt, nach denen eine Gesamtbewertung stattfinden soll, um festzustellen, ob doch ein reguläres Arbeitsverhältnis vorliegt. Bei dieser Bewertung sollen Elemente wie etwa die Dauer, das Vorhandensein einer wesentlichen Lern- und Ausbildungskomponente, die Gleichwertigkeit der Aufgaben und Verantwortlichkeiten aber auch die Frage, ob der Arbeitgeber frühere Berufserfahrung für das Praktikum verlangt, berücksichtigt werden.
  • Auf Anfrage der zuständigen Behörde trifft den Arbeitgeber dann eine Informationspflicht, um die Beurteilung zu begleiten. Beispielsweise müssen Informationen über die Anzahl und Dauer der Praktika vorgelegt werden, die Arbeitsbedingungen (einschließlich dem Arbeitsentgelt), die Lern- und Ausbildungsbestandteile und die Stellenausschreibungen für das Praktikum. Weiter wird den Mitgliedstaaten eingeräumt, eine zeitliche Obergrenze für die Dauer von Praktika festzulegen.
  • Die Mitgliedstaaten sollen den Zugang zu einem wirksamen und unparteiischen Streitbeilegungsverfahren und ein Recht auf Wiedergutmachung vorsehen, wenn die Rechte eines Praktikanten verletzt werden. Dazu sollen auf Wunsch der Praktikanten auch Arbeitnehmervertreter die Möglichkeit haben, im Namen oder zur Unterstützung von Praktikanten in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren einzutreten.
  • Abschließend sollen die Mitgliedstaaten wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zur Umsetzung der Richtlinie einführen. 
  • Die Umsetzungsfrist beträgt zwei Jahre nach Inkrafttreten. Bei der nationalen Umsetzung sollen auch die Sozialpartner miteinbezogen werden.

Vorschlag für überarbeiteten Qualitätsrahmen für Praktika

Der Vorschlag für den überarbeiteten Qualitätsrahmen enthält folgende zentrale Anpassungen im Vergleich zur geltenden Ratsempfehlung 2014/C88/01:

  • Die Empfehlung soll für alle Praktika gelten – unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Zuvor war dies nicht spezifiziert.
  • Praktikanten sollen bei der Festlegung der Lernziele einbezogen werden.
  • Sie sollen angemessen bezahlt werden – unter Berücksichtigung ihrer Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Arbeitsintensität und dem Gewicht der Lernkomponente.
  • Praktikumsanbieter sollen falls möglich einen Mentor benennen, der betreut und unterstützt.
  • Praktikumsanbieter sollen ein angemessenes und sicheres Arbeitsumfeld bereitstellen einschließlich der Ausstattung im Falle von Fernpraktika oder hybriden Praktika.
  • Bei wiederholten, auch aufeinanderfolgenden Praktika bei demselben Arbeitgeber sollte die Gesamtdauer dieser Praktika sechs Monate nicht überschreiten – es sei denn, eine längere Dauer ist durch objektive Gründe gerechtfertigt.
  • Arbeitgeber sollten von Praktikumskandidaten keine frühere Berufserfahrung verlangen – es sei denn dies ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.
  • In Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden sollen Praktikanten die Möglichkeit haben, Missstände und schlechte Arbeitsbedingungen zu melden.
  • Sie sollen Zugang zu angemessenem Sozialschutz haben.
  • In den Stellenausschreibungen sollen Praktikumsanbieter auch die Höhe der Vergütung angeben.
  • Umfassend ergänzt wurde die Empfehlung, um die Teilhabe an Praktika inklusiver zu gestalten: etwa mit Blick auf die Stellenausschreibungen, Gleichbehandlung, Diskriminierung, und dem Zugang.
  • Ergänzend sollen mit Blick auf grenzüberschreitende Praktika praktische Informationsmaterialien durch EURES bereitgestellt und Mobilitätsabkommen zwischen europäischen Praktikumsanbietern sowie nicht-europäischen gefördert werden.
  • Die Berufsberatung von Praktikanten soll gefördert werden, um den Wechsel in ein Beschäftigungsverhältnis nach dem Praktikum zu erleichtern.
  • Arbeitnehmervertreter sollen alle einschlägigen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren einleiten können, um geltenden nationales Recht durchzusetzen. Sie sollen im Namen oder zur Unterstützung eines oder mehrerer Praktikanten im Falle einer Verletzung von Rechten handeln können.
  • Die Mitgliedstaaten sollen Praktikumsanbieter, insbesondere KMU, bei der Anwendung der Empfehlung finanziell und/oder nicht-finanziell unterstützen. Sie sollen ihnen zudem Anreize bieten, nach einem erfolgreich abgeschlossenen Praktikum ein reguläres Arbeitsverhältnis anzubieten. 

Nächste Schritte: Der Vorschlag zur Praktika-Richtlinie muss auch von Rat und EP verabschiedet werden. Durch die endende Legislaturperiode und den anstehenden Wahlen zum EP wird sich diese Befassung jedoch verzögern und erst in der nächsten Legislatur abgeschlossen werden können. Die Ratsempfehlung zum überarbeiteten Qualitätsrahmen muss wiederum nur vom Rat angenommen werden. Die Mitgliedstaaten sollen 18 Monate nach Annahme der Empfehlung einen Umsetzungsplan mit den entsprechenden nationalen Maßnahmen vorlegen.

Bewertung: Die Praktika-Richtlinie verfolgt das richtige Ziel, einen Missbrauch von Praktika zu verhindern. Dabei muss jedoch gewährleistet bleiben, dass es weiter möglich ist, im breiten Rahmen und individuell angepasste Praktikumsstellen anzubieten. Die Bewertungskriterien müssen dafür flexibel genug gehalten werden. Die Vielzahl der detaillierten und rechtlich schwer zu überblickenden europäischen Kriterien ist für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aller Sektoren und Größen nur schwer anzuwenden. Darüber hinaus müssen die Einflussmöglichkeiten und Mitwirkungspflichten für Arbeitgeber effektiv ausgestaltet und klar geregelt werden. Gleiches gilt für die Vorgaben zu Klageverfahren und einer Wiedergutmachungspflicht. Dabei dürfen keine falschen Anreize gesetzt werden, die zu einem Missbrauch dieser Verfahren einladen. Die Schwelle zu einer rückwirkend festgestellten regulären Beschäftigung muss hoch liegen, da diese gravierenden Folgen für beide Seiten nach sich ziehen kann. Faktisch wird die Richtlinie in der jetzigen Form dafür sorgen, dass zulasten von Berufseinsteigern weniger Praktika angeboten werden dürften.

Mit Blick auf den EU-Qualitätsrahmen ist es wichtig, dass Arbeitgeber nicht durch übermäßige Kosten oder Verwaltungsaufwand davon abgehalten werden, Praktika anzubieten. Die überarbeite Empfehlung erweitert den geltenden Rahmen nicht grundlegend – es handelt sich vielmehr um vereinzelte Anpassungen. Viele Ergänzungen etwa zur Berufsberatung, grenzüberschreitenden Praktika sowie der Unterstützung von Praktika anbietenden Betrieben bei der Umsetzung stellen eine Verbesserung dar. Problematisch sind jedoch Bestrebungen, dass Praktikumsanbieter in ihren Stellenausschreibungen etwa auch Angaben zur Vergütung sowie Kranken- und Unfallversicherung aufnehmen sollen. Dies ist zu weitgehend. Eine Offenlegungspflicht bezüglich des Entgelts in Stellenanzeigen existiert in Deutschland richtigerweise nicht (vgl. BAG-Urteil 1 ABR 93/07).

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